Nächsten Herbst findet in Bayern nicht nur das alljährliche Oktoberfest statt, sondern auch die Bezirkstags- und Landtagswahlen. Die Wahlkampagnen in den unterschiedlichen Wählerschaften wurden bereits gestartet. Besondere Bedeutung wird dabei den jungen Leuten beigemessen, denn es gilt der Stimmenthaltung der jüngeren Generationen entgegenzuwirken. Einige von ihnen lassen sich bereits auf die Politik ein, wie Sebastian Felsner.
Im kalten Dachau kommt Sebastian Felsner am Bahnhof an. In seinen schwarzen Mantel eingemummt, steigt er trotz eisiger Temperaturen dennoch mit einem Lächeln aus der S-Bahn aus. Dieser junge Mann aus München organisiert heute Abend ein Treffen der neuen bayerischen Partei MUT, bei dem sich insbesondere über das Thema Bildung ausgetauscht werden soll. „Heute werden wir über Bildung sprechen und unser Treffen von Dezember fortsetzen. Der Fokus liegt dabei gegenwärtig auf der Frage des Schulsystems“, erklärt er. Die Veranstaltung wird in einer Bildungseinrichtung ausgerichtet und zwar nicht in irgendeiner, sondern an einer Montessori-Schule. Deren Schulsystem ist bekannt für seine verstärkt an Eigenständigkeit, Freiheit und Austausch ausgerichteten Lehrmethoden. Die Partei MUT folgt den gleichen Prinzipien mit einer Kampagne, die sich direkt an die bayerischen Bürger richtet. Es gibt also keinen besseren Ort, um über Bildung zu sprechen, als diese Schule.
Trotz der Kälte, die draußen herrscht, ist die Atmosphäre drinnen gemütlich. Bücher, Prospekte und Broschüren über Bildung teilen sich den Tisch mit Kartoffelchips und Keksen. Zehn Personen kommen heute Abend. Sie nehmen alle an einem Tisch Platz. Sebastian ergreift das Wort und eröffnet das Treffen. Er erklärt den Ablauf des Abends, stellt sich vor und fordert die Gäste auf, es ihm gleich zu tun. Um ihn herum sitzen Eltern, Arbeiter und Studenten, die aufmerksam zuhören und sich zum angesprochenen Thema äußern. „Ich habe mich der Partei angeschlossen, da ich glaube, dass es notwendig ist, das Thema Bildung noch einmal ganz neu zu präsentieren und zu zeigen, wie wichtig es ist“, erklärt Anja Milosevic, 28 Jahre alt. Die junge Frau hat die SPD verlassen, da sie der Meinung ist, dass „die Partei der MUT anders als zum Beispiel die SPD mit modernen neuen Ideen Dinge zu ändern versucht.“ Während der zwei Stunden, diskutieren die Teilnehmer über ein Thema, mit dem sie täglich zu tun haben und über das sie am besten Bescheid wissen.
„Sich zu engagieren, bedeutet gemeinsame Werte zu teilen“
Der Name MUT wurde nicht zufällig ausgewählt. Die Mitglieder wünschen sich eine neue Politik, die den Bürgern mehr Mitsprachrecht einräumt. „Opposition ist kein Dekoelement in einer Demokratie“, steht auf der Internetseite der Partei. Diese steht in klarer Opposition zur konservativen CSU. An der Spitze von MUT, die letztes Jahr im Frühling ins Leben gerufen wurde, befinden sich die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, die im Frühjahr bei den Grünen ausgetreten ist und Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die Mitglieder erhoffen sich mit ihrer neuen Bewegung wieder Hoffnung in die Politik zu bringen.
Genau wie die Bewegung MUT ist der junge Aktivist ein Neuling auf diesem Gebiet. An seiner Universität ist er auf die neue Partei aufmerksam geworden. Er hat sich dieser direkt angeschlossen und Stephan Lessenich kontaktiert, um an dem Abenteuer teilzunehmen. Mittlerweile hat er als Sprecher für Bildung ein Amt in der Partei inne. „Ich organisiere solche Treffen wie heute, um sich auszutauschen und neue Ideen für die Bildung in Bayern zu gewinnen“, lächelt er, stolz über seine Arbeit. Mit 27 Jahren ist der Masterstudent in Soziologie einer der Grundpfeiler der Bewegung und senkt zudem das Durchschnittsalter der Partei. Wie viele andere hat auch er lange gezögert einer Partei beizutreten. MUT hat es ihm ermöglicht, den Schritt in die Politik zu wagen.
Ein neues System
Laut dem Statistischen Amt München zählten 2016 zweieinhalb Millionen Menschen in Bayern zu den 18-35-Jährigen. Stimmen, die man nicht vernachlässigen darf. Bei den letzten Bundestagswahlen 2017 sind fast 30% der bayerischen Bürger nicht zu den Urnen gegangen. Die Stimmenhaltung stellt ein großes Problem für alle Parteien dar, wird von den jüngeren Generationen allerdings anders wahrgenommen. „Es ist falsch zu glauben, dass wir jungen Leute untereinander nicht über Politik sprechen. Im Gegenteil, wir reden sehr viel darüber sowohl mit unseren Freunden, als auch mit unserer Familie”, bestätigt Sebastian Felsner. Seiner Meinung nach lautet die Frage nicht, ob sich die jungen Leute für Politik interessieren oder nicht, sondern man sollte die Effektivität des Systems hinterfragen. Die klassischen Parteien verlieren ihre Eigenheiten durch die Wahl von Koalitionen. Dennoch ermöglichen solche Entscheidungen, Wahlsitze zu sichern oder zu gewinnen. Die neuen Generationen sind verwirrt. „Das aktuelle politische System ist überholt und repräsentiert seine Bürger nicht in angemessener Form. Dies erklärt das mangelnde Engagement im politischen Leben. Man sollte neue Wahlinitiativen oder Verteilungen vorschlagen“, erklärt Sebastian Felsner. Den Blick bereits auf das nächste Treffen gerichtet, beendet er diesen Abend mit seinen Kollegen. Bis zum 2. August kann weiterhin kandidiert werden. Bis dahin warten Spruchbänder und Plakate und es ist Zeit für öffentliche Versammlungen.
Sophie Hériaud